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Nova 4 – Verfahrenstechnik

Nova 4 – Verfahrenstechnik

Urin aufbereiten und Dünger herstellen.
Urin enthält viele Nährstoffe – und diese sollten nicht in Gewässer gelangen. Deshalb könnte es interessant sein, aus ihnen einen Dünger für die Landwirtschaft zu gewinnen. Novaquatis untersuchte ein breites Spektrum von Verfahren, sowohl für die Düngerproduktion als auch für die Entfernung von Nährstoffen – biologische, chemische und physikalische. Das Ergebnis: Die einzelnen Verfahren erfüllen unterschiedliche Ziele, und die meisten benötigen wenig Energie. Dies erlaubt es, die Aufbereitung auf spezifische Anforderungen abzustimmen.

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Wissenschaftlicher Hintergrund

Der grösste Teil der Nährstoffe aus dem menschlichen Stoffwechsel gelangt in den Urin, vor allem Stickstoff (N), Phosphor (P) und Kalium (K). Diese Nährstoffe sind in der Landwirtschaft erwünscht, nicht aber in den Gewässern (nur K richtet dort keinen Schaden an). Es kann deshalb sinnvoll sein, den Urin vom Abwasser zu trennen und daraus Dünger herzustellen.

Frischer Urin weist einen leicht sauren pH-Wert von 6 bis 7 auf. Sein hoher Anteil an biologisch abbaubarem Substrat bewirkt aber, dass sich schnell Bakterien darin vermehren. Dadurch verändert sich die chemische Zusammensetzung des Urins während der Sammlung und Lagerung beträchtlich. Weil sich Harnstoff in Ammoniak und Kohlendioxid spaltet, steigt der pH-Wert stark an – bis auf über 9 (siehe auch Nova 2). Zudem enthält der Urin organische Mikroverunreinigungen, vor allem Medikamentenrückstände und Hormone, die in Gewässern ebenso unerwünscht sind wie in der Landwirtschaft (Nova 5).

Die unterschiedlichen Verfahrenstechniken erfüllen verschiedenste Ziele: Der Urin kann stabilisiert und sein Volumen reduziert werden; Stickstoff und Phosphor lassen sich daraus gewinnen oder eliminieren; Bakterien, Viren und Mikroverunreinigungen können entfernt werden [1]. Mit einem Verfahren allein lassen sich jedoch nicht alle Ziele erreichen; es braucht also eine Entscheidung, was erwünscht und was nötig ist.

Für die Urinaufbereitung kommen grundsätzlich biologische (Nova 4-1), chemische (Nova 4-2, 4-3) oder physikalische (Nova 4-3) Prozesse in Frage. Die Vor- und Nachteile der vielen Verfahrenstechniken werden in [1] vertieft diskutiert.

Nova 4-1: Biologische Verfahren – Stabilisieren

(Kai Udert, Tove A. Larsen, Willi Gujer)

Nova 4-1 beschäftigte sich mit der Entwicklung eines biologischen Verfahrens, um Urin zu stabilisieren [2]. In einem Reaktor werden Bakterien gezüchtet. Diese bauen zum einen die organischen Verbindungen im Urin ab, zum anderen wandeln sie einen Teil des Ammoniums in Nitrit oder Nitrat um (Nitrifikation). Dadurch entsteht Säure, die den pH-Wert des Urins von über 9 auf etwa 6 senkt, was verhindert, dass Ammoniak verloren geht. Zugleich eliminieren die biologischen Prozesse unangenehme Gerüche.

Beim Verfahren gewinnt man eine Lösung von Ammoniumnitrat oder Ammoniumnitrit. Die Stickstoffverbindung Ammoniumnitrat ist ein Handelsdünger. Das Ammoniumnitrit dagegen ist für Bodenorganismen giftig. Es kann aber durch eine chemische Oxidation mit Sauerstoff bei einem tiefen pH-Wert leicht in Nitrat [3] oder in einem weiteren biologischen Prozess in unschädliches Stickstoffgas und Wasser umgewandelt werden [2].

Nova 4-2: Chemische Verfahren – Fällung von Phosphor

(Mariska Ronteltap, Max Maurer, Willi Gujer)

Günstige chemische Rahmenbedingungen – hohe pH-Werte – führen dazu, dass in gelagertem Urin Phosphor in Form von schwerlöslichen phosphorhaltigen Salzen ausfällt. In Leitungen führt dies zu Verkrustungen und Verstopfungen (Nova 2). Der Vorgang kann aber auch genutzt werden, um Phosphor zu gewinnen.

Fügt man dem Phosphor gezielt Magnesium bei, lässt er sich als Struvit zurückgewinnen. Struvit (MgNH4PO4, Magnesium-Ammonium-Phosphat, MAP) ist ein attraktives Produkt, denn es kann zwei abwasserrelevante Nährstoffe (P und N) in einen einzigen Feststoff überführen. Zudem ist es ein bewährter Mehrkomponentendünger, der langsam wirkt.

Nova 4-2 untersuchte das Verfahren im Detail, Struvit aus Urin herzustellen [4]. Dabei zeigt sich unter anderem, dass der Grad, wie stark sich der Phosphor eliminieren lässt, wesentlich von der Verdünnung abhängt, in der Regel aber 98% erreicht. Das produzierte Produkt ist weitgehend frei von Pharmazeutika und Hormonen, und es konnten auch keine Schwermetalle nachgewiesen werden [5].

Struvit kann direkt als Dünger verwendet werden, eignet sich aber nicht für die Weiterverarbeitung in der Phosphorindustrie [1]. In einem Nachfolgeprojekt von Novaquatis werden andere Fällungsprodukte untersucht, die auch für eine solche Weiterverarbeitung in Frage kommen. Beide Möglichkeiten können somit offen gehalten werden.

Weisse Weste: ... entsteht ein reines Nährstoffpulver (Urindünger Struvit) (Foto Mariska Ronteltap)

  biological reactor

Biologischer Reaktor zur Stabilisierung von Urin
(Foto Yvonne Lehnhard)


struvite reactor

Braune Sauce: Aus Urin mit Magnesium-Chlorid (MgCl2) Zusatz ... (Foto Yvonne Lehnhard)

struvit-powder


Nova 4-3: Physikalische Verfahren – Membrantechnologie

(Wouter Pronk, Markus Boller)

Nova 4-3 widmete sich verschiedenen Szenarien der Urinbehandlung mit einem Schwerpunkt auf Membranverfahren. Diese haben drei Ziele: 1) organische Mikroverunreinigungen von den Nährstoffen zu trennen, 2) die Nährstofflösung zu konzentrieren (Volumenreduktion) und 3) Bakterien und Viren abzutrennen oder zu zerstören. Darüber hinaus lassen sich Mikroverunreinigungen mit dem chemischen Prozesss der Ozonierung abbauen.

Im Labor wurde der Membranprozess der Nanofiltration getestet. Dieses Verfahren funktioniert nur, wenn der Harnstoff im Urin nicht abgebaut wird. Falls es auch in der Praxis gelingt zu verhindern, dass dies passiert – z.B. durch eine Ansäuerung –, kann mittels Nanofiltration eine Harnstofflösung (ohne Phosphor) produziert werden. Diese Lösung ist weitgehend unbedenklich, ein grosser Teil der organischen Mikroverunreinigungen kann von den Nährstoffen getrennt werden, und Bakterien und Viren werden entfernt [6]. Bei der Nanofiltration werden die Nährstoffe nicht konzentriert – in einem weiteren Projekt wurde für das Aufkonzentrieren die Vakuumeindampfung eingesetzt. Sie reduziert das Volumen einer Harnstofflösung bei 78°C um 90% [1].

Ebenfalls im Labor getestet wurden der Membranprozess Elektrodialyse und der chemische Prozess Ozonierung. Durch Elektrodialyse können Ammonium, Phosphor und Kalium vom grössten Teil der Mikroverunreinigungen, aber auch von Mikroorganismen wie Bakterien getrennt werden. Gleichzeitig wird die Nährstofflösung etwa vierfach konzentriert [7]. Eine zusätzliche Ozonierung führt mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass der produzierte Dünger sowohl in Bezug auf die Hygiene als auch auf Pharmazeutika und Hormone einwandfrei ist.

Ein Nachfolgeprojekt setzt Elektrodialyse und Ozonierung im Pilotmassstab in der Kantonsbibliothek BL in Liestal ein [8], um den dort anfallenden Urin zu behandeln (siehe auch Nova PP). Dabei wird eine Nährlösung mit 12 g N/Liter, 0.65 g P/Liter und 5.7 g K/Liter produziert.


Saubere Sache: Analyse der Mikroverunreinigungen im Urin
(Foto Yvonne Lehnhard)

  data analysis

Schlussfolgerungen

Die grosse Palette an Verfahren zur Urinaufbereitung bietet viel Flexibilität. Ist zum Beispiel auf dem Lande nur eine Stabilisierung notwendig, um das Ausgasen von Ammoniak beim Ausbringen von Dünger zu verhindern, genügt eine einstufige biologische Behandlung. Will man dagegen in einer Millionenstadt die Nährstoffe verwerten – wie es etwa in Gebieten mit generellem Düngermangel sinnvoll wäre –, steigen die Anforderungen und verschiedene Prozesse müssen kombiniert werden. Nährstoffe können aber auch eliminiert werden, zum Beispiel um empfindliche Gewässer vor einem Nährstoffüberschuss zu schützen.

Alle Verfahren müssen noch weiterentwickelt werden, bevor sie praxistauglich sind. Dank der Forschung von Nova 4 wissen wir jetzt aber genau, welche Verfahren heute zur Verfügung stehen, für welche Zwecke sie sich eignen und wo sie optimiert werden müssen.

In vielen Fällen ist eine separate Eliminierung von Nährstoffen oder deren Recycling sinnvoller als der heutige Zustand. Auch der Energieverbrauch ist dabei in den meisten Fällen kleiner [1, 9].

Literatur

  1. Maurer, M., W. Pronk, T.A. Larsen (2006) Treatment processes for source separated urine. Water Research 40(17): 3151–3166.
  2. Udert, K.M., C. Fux, M. Münster, T.A. Larsen, H. Siegrist, W. Gujer (2003) Nitrification and autotrophic denitrification of source-separated urine. Water Science and Technology 48(1): 119–130.
  3. Udert, K.M., T.A. Larsen, W. Gujer (2005) Chemical nitrite oxidation in acid solutions as a consequence of microbial ammonium oxidation. Environmental Science & Technology 39(11): 4066–4075.
  4. Ronteltap, M., M. Maurer, W. Gujer (2007) Struvite precipitation thermodynamics in source-separated urine. Water Research 41(5): 977–984.
  5. Ronteltap, M., M. Maurer, W. Gujer (in press) The behaviour of pharmaceuticals and heavy metals during struvite precipitation in urine. Accepted for publication in Water Research.
  6. Pronk, W., H. Palmquist, M. Biebow, M. Boller (2006) Nanofiltration for the separation of pharmaceuticals from nutrients in source-separated urine. Water Research 40(7): 1405–1412.
  7. Pronk, W., M. Biebow, M. Boller (2006) Electrodialysis for recovering salts from a urine solution containing micropollutants. Environmental Science & Technology 40(7): 2414–2420.
  8. Pronk, W., S. Zuleeg, J. Lienert, B. Escher, M. Koller, A. Berner, G. Koch, M. Boller (submitted) Pilot experiments with electrodialysis and ozonation for the production of a fertilizer from urine. Accepted for presentation at IWA Advanced Sanitation Conference, Aachen, 12.–13.3.2007, submitted to Water Science and Technology.
  9. Maurer, M., P. Schwegler, T.A. Larsen (2003) Nutrients in urine: energetical aspects of removal and recovery. Water Science and Technology 48(1): 37–46.

Weitere Publikationen